Katharina Kahl
Aus der Krise Kraft schöpfen - die Kunst des Geschichtenerzählens
Aktualisiert: 20. Apr. 2020

Geschichten wurden schon immer erzählt. Sie sind Teil einer jeden Kultur und prägen Generationen. Geschichten werden erzählt, um wichtige Informationen weiterzugeben, mit Metaphern werden Zusammenhänge verdeutlicht und jede Form von Erzählung dient dazu, den Zuhörer etwas zu lehren. Gleichzeitig helfen uns Geschichten, aus unseren eigenen Umständen auszusteigen und unserer Fantasie zu erlauben, uns in eine andere Wirklichkeit zu entführen - eine Pause für Kopf und Seele.
Ich denke, dass dies der Grund ist, warum Filme und Bücher so gefragt sind. Häufig sind wir leider nicht gerade wählerisch, was den Inhalt der Geschichten angeht, die wir ansehen oder lesen. Was unsere Kinder angeht, sind wir vorsichtig, aber für uns selbst lassen wir allzu oft ungefiltert Bilder und Gedanken zu, die für uns schädlich sind und sowohl Kopf als auch Seele vergiften.
Gute Geschichten dagegen verleihen uns Flügel, sie motivieren und inspirieren uns und wecken neues Potential. Gerade im Kinderbereich gibt es sehr viele gute und inspirierende Bilderbücher, die gute Werte vermitteln. Aber wir müssen uns gar nicht auf die Hilfe von Büchern stützen. Die besten Geschichten entstehen im eigenen Kopf. Weil sie immer genau auf die aktuelle Situation, die anwesenden Zuhörer und das erlebte Tagesgeschehen angepasst werden können. Das bietet die beste Grundlage, um kleine (aber auch große) Zuhörer zu fesseln, denn sie merken, dass es um sie selbst geht.
Geschichten bieten die Möglichkeit, das Erlebte zu reflektieren und alternative Handlungsmöglichkeiten auszuprobieren. Kinder lieben es, ihre eigenen Ideen einzubringen und die Geschichte in eine Richtung zu lenken, bei der sie sich wohl fühlen. Gleichzeitig ist das Geschichtenerzählen eine enorm intensive Familienzeit, die auch den Zusammenhalt stärkt.
Wer noch nie frei erfundene Geschichten erzählt hat, tut sich vielleicht etwas schwer damit, einen Anfang zu finden. Eine der wichtigsten Regeln ist, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen und zur eigenen Fantasie zurück zu finden.
In unserer Familie hat sich das Geschichtenerzählen allabendlich durchgesetzt. Angefangen hat es im Urlaub, als keine Bilderbücher zur Hand waren. Jetzt ist es eher die Regel und das Bilderbuch die Ausnahme. Die Kinder haben selbst die Hauptdarsteller gewählt und für jedes Familienmitglied ein Tier ausgesucht, das auch ganz bestimmte Fähigkeiten hat, die in den verschiedenen Teilen der Fortsetzungsgeschichte zum Tragen kommen. Da gibt es den Geparden, das singende Nilpferd, den Mama-Adler, den Bären und die Baby-Eidechse. Unterwegs treffen sie immer wieder auf andere Tiere, die in Not sind oder ihnen bei einem wichtigen Vorhaben helfen können. In den Geschichten fließen dann die wirklich erlebten Ereignisse des Tages in anderer Form ein und die Kinder können mit überlegen, wer wohl wie helfen oder reagieren könnte.
Durch solche Geschichten können Kinder zum einen Abstand nehmen zu den Erlebnissen des Alltags, sie aus "sicherer Distanz" betrachten und verarbeiten. Zum anderen können sie aber auch in ihrer gewählten Identifikationsfigur mit "Superkräften" agieren, sind mutig, stark und einfallsreich. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein und spiegelt sich auch im Alltag wieder, wenn sie in eine ähnliche Situation kommen und sich an ihre "Superkräfte" erinnern.
Versuchen Sie doch auch einmal, Ereignisse des Tages in Geschichten zu verpacken und Ihren Kindern so die Möglichkeit zu geben, das Erlebte zu reflektieren und aus der Geschichte zu lernen.